Aufwachen bevor man einschläft!
Neue Dienstzeitregelung völlig unakzeptabel in den Augen der Piloten
„Wenn nicht immer wieder dieser Antrieb wäre, sich auf den nächsten Flug zu freuen, weil der Beruf Spaß macht und man ihn mit keinem anderen auf der Welt tauschen würde“.
Was junge Kollegen denken und was sie immer wieder mit Begeisterung an den Job gehen lässt, ist vielen Älteren mittlerweile abhanden gekommen. Die Anzahl derer, die mit 50 Jahren oder gar älter noch ihren Job lieben und genießen, ist stetig zurück gegangen. Nur etwa 30% der über 50-jährigen steht heute noch zu ihrem Beruf und würden ihn weiterempfehlen. Der Rest würde niemandem mehr raten Pilot zu werden. Unregelmäßige Dienstzeiten, Tag- und Nachtwechselschichten, Zeitzonenhopping oder zu kurze Pausen und Regenerationszeiten für den eigenen Körper zehren am Lebensalter und der Lust, in der Freizeit sich noch groß zu engagieren. Und nicht dass die geltenden Regelungenschon genug wären, möchte man nun diesen, am Rand der psychischen Grenze balancierenden Dienstzeitregelungen, noch eins drauf setzen.
In der noch gut einen Monat dauernden „Erklärungsfrist“ für die neue Regelung machen die Piloten mobil. In fast allen Foren und Diskussionsrunden sind Aufrufe der Verbände zu lesen, in denen der Widerstand gegen die neuen Regelungen formiert wird. Die neue Dienstzeitregelung der Agentur für Flugsicherheit (EASA) ist in den Augen fast aller Piloten unakzeptabel. Sie enthält Regelungen, die Dienstzeiten bis zu 18 Stunden ermöglichen und Crews durchgehend bis zu 15 Stunden Dienst tun lassen. Während man im Straßenverkehr die maximalen Lenkzeiten auf 10 Stunden beschränkt und diese auch rigoros kontrolliert – bereits nach 4,5 Stunden ist eine Pause einzulegen – mutet man Piloten das Dreifache zu, bevor eine Pause möglich ist. Dabei ist die weit verbreitete Auffassung, dass Piloten nur während des Starts und der Landung volle Aufmerksamkeit zeigen müssen, schlichtweg falsch! Abgesehen von einer Vielzahl von Navigatorischen- und Überwachungstätigkeiten, sind Piloten in das System ihres Flugzeuges wie ein drehendes Rad bei einem Zug eingebunden. Denn bei einem Triebwerksausfall, einem Fehler in der Druckkabine oder gar der Steuerflächen, bleiben der Besatzung nur wenige Sekunden, in denen sie eine Katastrophe verhindern können. Ergo, sie müssen in wenigen Sekunden vom Überwachen zum Reagieren umschalten können. Hieraus ergibt sich die berechtigte Frage, wies olch eine Besatzung nach 14 oder 15 Stunden Dienst reagieren würde?
Vergleichbar ist die Situation mit einem Bereitschaftsarzt in der Notaufnahme, der kurz vor Ende seiner Zeit einen schweren Unfall zu behandeln hat. Viele denke in einer solchen Situation: „Bitte lass die letzte Stunde auch noch ruhig verlaufen“, ebenso wie Piloten, die nach geplanten 15 Stunden Flug vor das Problem gestellt werden: „Dein Zielflughafen ist wegen Wetter oder einem Vorfall geschlossen!“, fliegt mal zu dem 20 Minuten entfernten Ausweichflughafen.
Dabei kommt eine Studie zu dem Ergebnis, dass das Unfallrisiko um das Fünffache in der letzten Stunde bei einem 15-stündigen Einsatz steigt. Die Anzeichen und Auswirkungen dieser Müdigkeit sind vergleichbar mit zu hohem Alkoholkonsum oder der Einnahme von Medikamenten. Das menschliche Leistungsvermögen lässt dadurch spürbar nach. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Unfallrate zunimmt, je länger Piloten im Einsatz sind. Die amerikanische Unfalluntersuchungsbehörde NTSB stellte fest, dass die Hälfte aller Piloten bei einem Unfall bereits über 12 Stunden im Einsatz waren.
Wie kommt es zu 15-stündigen Einsätzen?
Bei unvorhersehbaren Gründen gibt es die Möglichkeit eines Kommandantenentscheids. Dieser kann die normale maximale Dienstzeit um zwei Stunden auf maximal 15 Stunden verlängern. Er muss dazu jedes einzelne Crewmitglied separat befragen. Dies kann u.a. notwendig werden, wenn der Streckenwind eine längere Flugzeit erfordert oder die Flugsicherung bestimmte Routen fordert. Doch welches Crewmitglied weiß schon, wie es sich in fünf, sechs oder acht Stunden fühlt. Somit ist eine derartige Entscheidung immer mit hohen Risiken für den Kommandanten verbunden. Kein Pilot möchte seine Passagiere gerne stehen lassen oder auf einem Rückflug von Manila nach London in Moskau zwischenlanden, weil er oder seine Besatzung zu stark ermüdet ist! Doch bei einem Unfall trägt allein der Kapitän die Verantwortung und in den Medien, aktuell sehr gut zu beobachten, wird auf ihn „einschlagen“ was das Zeug hält, warum er nicht zwischengelandet ist oder warum er überhaupt zum Start rollte.
Verschiedene Studien haben all diese Faktoren untersucht. Eine davon ist die „Moebus-Studie“, die zu der klaren Empfehlung kommt, dass man keine Dienste oder Einsätze einzelner Besatzungsmitglieder über 12 Stunden planen sollte. Die strikten Einlassungen der Autoren nehmen dabei sogar nur die Dienstzeiten als Bemessung. Tatsächliche Wachzeiten, etwa bei Zeitverschiebungen, Tages- und Nachtzyklen werden gar nicht berücksichtigt. So wird kaum ein Pilot vor einem Los Angeles-Frankfurt Flug unmittelbar vor dem Flug ausreichend Schlaf finden. Resultat ist, dass seine Dienstzeit in der 12. bis 24. Stunde seiner Wachzeit liegen wird. Daraus ergibt sich wiederum die Logik, dass der Kommandantenentscheid eigentlich gegenwissenschaftliche Erkenntnisse verstößt und das Unfallrisiko bewusst zugunsten der wirtschaftlichen Interessen erhöht wird.
Ein weiterer Punkt ist die Crewplanung. Sie plant Besatzungen strikt nach den gesetzlichen oder tariflichen Vorgaben. Dabei erlaubt moderne Software eine derart effiziente Einplanung, dass die geringste Störung zu Ausfällen oder eben dem Kommandantenentscheid führt. Und schon steht wieder der Kollege links unter erheblichen Druck. Egal ob er nach einem mehrtägigen Umlauf unbedingt nach Hause möchte, oder er in Kauf nimmt, dass 300 oder 400 Passagiere ins Hotel müssen oder ein Ersatzcharter eingeflogen werden muss. Es gibt noch weitere Faktoren, welche die physische und auch psychische Einsatzfähigkeit der Besatzung erheblich beeinflussen. Nachtarbeit, Langstreckeneinsätze oder Bereitschaftszeiten, in allen Einsatzspektren kommen Biorhytmus oder die Bewertung des zirkadianischenTiefs (Nachtzeit zwischen 2 und 6 Uhr) zum Tragen. Und in allen Bereichen arbeiten Besatzungen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen und Regelungen oft am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Dies wird bereits seit längerem wieder durch die „Moebus-Studie“ nachdrücklich kritisiert. In ihr sieht man selbst die derzeit erlaubten 11:45 Stunden maximale Dienstzeit während der Nacht als zuviel an. Maximal zehn Stunden sollten erlaubt sein. Und wer ehrlich zu sich selbst ist, weiß dass ein Hurgadanachtflug aus Hamburg oder Berlin an die Substanz geht. Er beträgt fast 11:40 Dienstzeit.
Ein Rückflug aus Singapur nach Paris ist um 6 Uhr Ortszeit geplant. Man kämpft nicht nur gegen eine extrem lange Flugzeit, im Winter bis zu 13 Stunden, sondern auch im doppelten Maße gegen die innere Uhr. Dienstbeginn nach Pariser Heimatzeit um 0 Uhr. Dienstbeginn um 6 Uhr in der fremden Ortszeit steht dem eigenen Zyklus ebenfalls entgegen. Hinzu kommt ein klimatisches Gefälle von 33°C inSingapur und –4°C in Paris. Der Körper wird auf das härteste geprüft.
Insgesamt bedeuten die neuen Regelungen der EASA eine weitere Verschärfung der Arbeitsbedingungen von Piloten.
In diesem Sinne happy landings und dass Sie die Landung auch bewusst miterleben!
Weitere Informationen: www.flugdienstzeiten.de